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Ein Sommerabend im Bryant Park

Der Bryant Park ist ein herrliches Fleckchen Erde im quirligen Midtown. Wann immer ich in der Nähe bin, genieße ich das geschäftige Treiben in der grünen Oase bei einer Tasse Kaffee von Joe. Am liebsten schreibe ich hier Postkarten. Dieses fast vergessene Relikt aus früheren Zeiten sorgt für immer größere Freude bei meiner Familie. Und das, obwohl das Angebot an Motiven von Jahr zu Jahr schlechter wird. 

Die Auswahl an Freizeitaktivitäten im Bryant Park ist im Sommer enorm und wird stetig erweitert: 

  • Yoga auf der zentralen Wiese
  • Boxen
  • Jonglieren
  • Tai Chi
  • Stricken
  • Brettspiele
  • Kunstaktivitäten, wie Portraits zeichnen oder Aquarellmalerei
  • Pianospieler, die in der Mittagspause vorm Bryant Park Café ihre  Hände über die Tastatur fliegen lassen
  • Bühnenauftritte, bei denen Ausschnitte aus Broadway Musicals aufgeführt werden
  • Filmnächte mit echten Klassikern
  • Karussell und Puppentheater für leuchtende Kinderaugen

Ende Oktober, wenn die Blätter der Bäume in bunten Farben leuchten, verwandelt sich der Park in ein Winterwunderland: Bezaubernde Büdchen mit allerlei Kunsthandwerk neben vielen kreativen Snacks, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Mittig im Park wird eine mit bunten Lichtern geschmückte Tanne aufgestellt, und es wirkt, als wäre sie schon immer dort gewesen. Zwischen den Wolkenkratzern kannst du Schlittschuhlaufen oder es dir mit leckeren Snacks in einem Iglu gemütlich machen.

Doch zurück zu einem Tag, an dem die Klimaanlagen rauschend Höchstleistungen erbringen und  der Asphalt der 42nd Street glühend heiß ist. Gerade der Subway entstiegen, habe ich im Writers Room der Gotham City Writers einen Tisch unter dem grünen Blätterdach ergattert. Um mich herum sitzen New Yorker, Studierende, Junge und Alte. Als die Dozentin, eine Schriftstellerin, uns in die Welt der Kurzgeschichten entführt, wird die City um uns herum ganz ruhig.

Damit es nicht zu theoretisch bleibt, dürfen wir unsere eigene Geschichte verfassen. Plötzlich fühle ich mich in die Schule zurück versetzt. Dieses Gefühl, wenn alle drauf los schreiben und man selbst vor einem leeren Blatt sitzt, weil die zündende Idee noch in den Tiefen des Gehirns vor sich hin glimmt. Die Anleitungen der Dozentin helfen mir, Stück für Stück in eine Geschichte zu finden. Gerade im Flow, wird schon die Frage gestellt, wer auf der Bühne sein Werk vorlesen möchte.

Während ich mich so klein wie möglich mache, schießt die Hand einer jungen Autorin schneller empor, als ein Porsche auf der Autobahn an einem Kleinwagen vorbei rast. Im nächsten Moment steht sie vor den gut 50 Teilnehmern und gibt ihre Geschichte zum besten. Mich lenkt eine dicke Ratte ab, die ein paar Meter hinter ihr zwischen den Büschen links und rechts des Weges unterwegs ist. Sie lässt sich dabei viel Zeit. Fast so, als wäre sie fassungslos darüber, dass niemand eine Waffel oder wenigstens ein Stück Pizza achtlos hat fallen lassen.

Kurzer Applaus, die nächste Autorin betritt die Bühne. In ihrem Werk geht es um Handschuhe. Das ist echte Kreativität, bei 38 Grad Celsius über Handschuhe zu schreiben!  Die ältere Dame am Tisch nebenan flüstert mir aufgeregt zu: „Ich habe auch über Handschuhe geschrieben!“ Motiviert teilt sie im Anschluss ihre Erzählung, in der es um einen verloren gegangenen Seidenhandschuh geht.

Die Dämmerung weicht der Dunkelheit, im hell beleuchteten Park ist mir das Zeitgefühl abhanden gekommen. Meine Geschichte verschwindet raschelnd in meiner Tasche. Noch bin ich nicht bereit, meine Worte mit anderen zu teilen, auch wenn mich der Mut der anderen sehr beeindruckt hat. Die Schreibenden streben auseinander, fast so, als hätten sie alle nur zufällig nebeneinander gesessen.

Als ich in die eiskalte Subway steige und zurück zur Unterkunft fahre, wünsche ich mir nach kurzer Zeit, dass ich Handschuhe dabei hätte.

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